Fürsorge der Behutsamen
[27.May.2024 - 12:41]Fürsorge der Behutsamen
Der Fall Stori und der Grenze der Belastbarkeit
Von Hermann Schreiber
Vorwärts : 11.August 1983, Nr. 33, Seite 11
Der Afghane Kabir Stori wurde auf der Reise zu Verwandten in Pakistan inhaftiert.
Dort sitzt er noch heute ein. Deutsche Bemühungen, den Schutzbefohlenen Asylanten frei zu bekommen, sind allzu „behutsam", um wirkungsvoll zu sein.
Ich durfte fünf Tage und fünf Nächte nicht schlafen.
Danach war ich geschlagen worden, bis ich bewusstlos war." So schrieb der Afghane Kabir Stori Anfang Februar dieses Jahres aus dem Gefängnis im pakistanischen Peshawar an Freunde und Bekannte in Köln.
Vom Rhein in die Stadt am Osthang des Khayber-Passes war Stori Anfang Januar gereist, um dort Verwandte zu treffen, die aus dem sowjetisch besetzten Afghanistan nach Pakistan entwichen waren.
Für die pakistanische Botschaft in Bonn war Stori wohl kein unbeschriebenes Blatt. Er gehört der paschtunischen Volksgruppe an und hatte sich immer zum groß-paschtunischen Nationalismus bekannt.
Dieser zielt auf die Vereinigung aller Paschtunen in einem Staatsverband ab, was für Pakistan unter Umständen den Verlust der überwiegend paschtunischen Nord-West-Grenzprovinz bedeuten würden.
Seit 1973 war Stori nicht nur Student in Marburg, sondern auch Mitarbeiter an den Sendungen des afghanischen Dienstes des Kurzwellensenders Deutsche Welle. Dem Vernehmen nach hat Storis politische Überzeugung in den Afghanistan-Sendungen keine Rolle gespielt, denn er kam dort nur als Übersetzer und Sprecher zum Zuge.
Nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen in seine Heimat Afghanistan, faßte Kabir Stori einen Entschloß, der wahrscheinlich ein großer Schritt auf dem Weg in den Kerker war. Zusammen mit Gesinnungsgenossen gründete er eine „Sozialdemokratische Partei der Paschtunen" und ließ sie in Köln ordnungsgemäß in das Vereinsregister eintragen.
Paragraph 1 der Satzung dieser SPP lautet:
„Für die Erhaltung des Friedens ist die wichtigste Aufgabe und Grundforderung der
SPP die Einheit und Bildung eines unabhängigen Staates der Paschtunen.
Dieser Postulat der paschtunischen SP ist sehr interpretationsfähig.
Eine friedens-freundliche Interpretation wäre die, daß im Paschtunischen das Wort Paschtunen synonym für Afghane ist; es ginge demnach um die Einheit und Unabhängigkeit der Afghanen.
Ebenso ließe sich sagen - und das wäre eine Kampfansage -, angestrebt würde die Vereinigung aller in Afghanistan und Pakistan - lebenden Paschtunen; ein Vorgang, der Pakistan um einen beträchtlichen Teil seines Staatsgebietes bringen musste.
In Bonn hat das Programm der SPP bisher keinen Ärger bereitet. Jedenfalls hatte die Botschaft der Islamischen Republik Pakistan, die es sehr wahrscheinlich kennt, nie einen Protest, zum Beispiel beim Auswärtigen Amt, für notwendig befunden. Überhaupt war die von Kabir Stori gegründete und geführte Partei eher eine Blume, die im Verborgenen blühte.
Seine Freunde waren wenig besorgt, als Stori zum Jahreswechsel 1982/83 nach Peschawar zu Verwandtenbesuch fuhr.
Zwar wußte man, daß er gerne und viel über Politik sprach, wie er sie verstand, doch man vertraute darauf, den Pakistani könne ja nicht verborgen geblieben sein, wie einflußlos die Stori-Gruppe wirklich sei.
Diese Überzeugung wurde noch durch die Bereitwilligkeit genährt, mit der die pakistanische Botschaft in Bonn Kabir Stori ein Visum erteilte.
Wurde er in eine Falle gelockt? Seit dem 16. Januar sitzt Stori in verschiedenen Gefängnissen der pakistanischen Provinzmetropole ein.
Deutsche Bemühungen, den afghanischen Schutzbefohlenen aus der Haft zu befreien, blieben äußerst behutsam;
Auswärtiges Amt, Deutsche Welle und andere Institutionen wollten wohl „keinen Arger, keine Belastung der Beziehungen zu Pakistan wegen eines Mini-Politikers, dessen Linie ihnen unverständlich oder gleichgültig war.
Kommt hinzu, daß es sich bei Stori nicht um einen deutschen Staatsbürger, sondern um einen Asylanten handelt.
Doch in diesem Zusammenhang taucht auch die Frage auf, ob Bonn nicht eine umfassende Fürsorge und Schutzpflicht auch jenen gegenüber hat, die es mit einem deutschen Fremdenpass ausstattet.